Sommer an einer einsamen Bushaltestelle

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Eine Kurzgeschichte von Aliya, Q11

Er stand an der Bushaltestelle, die Hose zerrissen, aber nicht so, als wäre sie schon so gekauft worden, sondern so, als ob sie schon jahrelang getragen wurde und nun langsam ihren Tod fand, und hatte die Hände in den Taschen seiner Jacke vergraben.

Die Jacke war, wie auch die Hose, aus Jeans und ebenfalls äußerst alt. Fusselig und abgetragen wie die Ärmelenden waren, schienen sie sich vor den Augen des Betrachters aufzulösen, als würden sie keine Sekunde mehr auf dieser Erde weilen wollen. Der Rücken der Jacke war an etlichen Stellen geflickt worden und mit allen möglichen anderen Stofffetzen und Patches versehen worden. Es schien, als wäre die Jacke nicht mehr eine Jacke für sich aus einem Stück Stoff, sondern eher eine Kombination von Flicken, die sich selbst zusammen hielten.

Die Jeansjacke mit Flicken war offen und entblößte eine Art Top, das genauso gut ein zu großes Unterhemd hätte sein können- ausgeleiert und verwaschen hing es von dem dünnen Körper herab und betonte ungewollt die Schlüsselbeine, die hervorstachen, als würden sie am liebsten von diesem Körper wegrennen wollen und müssten sich nur noch losreißen.

Seine Hände in den Jackentaschen, die mit irgendwelchen merkwürdigen Symbolen bestickt worden waren, suchten anscheinend etwas, bis sie ein Feuerzeug hervorholten, es ungefähr auf Augenhöhe hoben und es kurz schnappen ließen. Eine kleine Flamme erschien und erhellte sein Gesicht im tristen Licht der Abenddämmerung.

Er sah müde aus, Ringe zierten seine Augen, die Tief in den Höhlen lagen und von kurzen Wimpern umrahmt wurden, die man jedoch nur sehen konnte, wenn man ganz nah heranging. Leer, abgestumpft und etwas traurig blickte er in die Flamme, die sich in seinen dunklen Pupillen spiegelte und ihnen etwas Leben verlieh. Seine Wangen waren eingefallen, etwas gilbliches ging von seiner Haut aus, die an den Schläfen kleine Unreinheiten aufwies und am Kinn eine feine Narbe aufzuzeigen hatte.

Sein Haar fiel ihm in die Stirn, es war das letzte Mal vor über einem Jahr geschnitten worden, wovon die spröden Spitzen und die dumpfe Erscheinung Bände sprachen. Leicht kitzelte es seinen Nasenrücken, der einen kleinen Knick in der Mitte aufwies, als wäre er einmal gebrochen worden und etwas schief wieder angewachsen.

Still betrachtete er immer noch die kleine Flamme, die jedoch einem leichten Windstoß zum Opfer fiel, der kurz an seiner Kleidung und seinen Haaren riss, und erlosch.

Ungeduldig klickte er abermals mit dem Feuerzeug, das wieder aufflammte und seine ernsten Gesichtszüge erhellte. Es war ein gespenstisches Bild, keine Menschenseele war an der Busstation in dieser abgelegenen Gegend und, obwohl es Sommer war, tummelten sich auch keine Leute auf den Straßen. Das kleine Flämmchen war die einzige Lichtquelle abgesehen von dem verschwindenden Abendlicht, das nun, da die Sonne weg war, immer schneller immer dunkler wurde.

Wenn man genau hinhörte, konnte man ein leises Seufzen hören, das er ausstieß, bevor er in seine Haare griff, sie sich aus den Augen wischte und dann hinter seinen Ohren eine Zigarette hervorholte, die er sich zwischen die Lippen klemmte. Mit seinen Händen die Flamme schützend, damit diese nicht abermals durch einen kleinen Wind ihren Tod fand, zündete er das Ende der Zigarette an, die schwach in der Dämmerung glühte. Das Feuerzeug ließ er in seine Jackentasche zurück gleiten und nahm gleichzeitig einen tiefen Zug von der Zigarette, wie es nur erfahrene Raucher konnten. Mit zwei Fingern den immer kleiner werdenden Stummel haltend, stieß er den Rauch aus Mund und Nase aus, der sich dunkel in der Luft kringelte und nach und nach verschwand.

Einen zweiten Zug nehmend verlagerte er sein Gewicht ein wenig und ließ ein paar vereinzelte Kiesel unter seinen Füßen knirschen. Diese steckten in ausgetretenen Stoffschuhen, deren Schnürsenkel mehr schwarz-grau als weiß waren, und vorne im rechten Schuh ein Loch aufzuweisen hatten. Die Sohle begann sich beim anderen schon zu lösen, sodass sie immer gegen den Fuß schlappte, wenn er lief und immer wieder kleine Steine hineinschaufelte, die sich dann in seine Fußsohle bohrten.

Doch es war Sommer, die Streuung vom Winter war schon längst weggeschafft worden und kein Regen konnte ihm die Füße nass machen. Im Sommer regnete es hier so gut wie nie. Stattdessen knallte die Sonne unerbittlich vom Himmel und das Gras wurde gelblich-braun und trocken, die Büsche verdursteten und keine einzige Blume blühte. Lange Halme rauschten im Wind, wenn er über die großen Flächen vor den Städten blies, in denen man auf den Autos Spiegeleier braten und Kekse backen konnte. Der Asphalt auf den Straßen schien zu kochen und er hatte sogar an einer Schuhsohle eine Verbrennung gefunden.

Wenn nicht Regen seinen Schuhen zu Leibe rückte, dann tat es die Hitze.

Der Rauch kräuselte sich in der Luft und schien ihm als einziger Gesellschaft leisten zu wollen, da der Bus sich anscheinend verspätet hatte. Doch das war in Ordnung, schließlich hatte er Zeit und wartete nicht nur auf den Bus.

Die Grillen zirpten in den Wiesen und hatten gerade wahrscheinlich den Spaß ihres Lebens, während er beobachtete, wie die Sterne, die man hier draußen, außerhalb der Stadt, besser sehen konnte, als irgendwo sonst, einer nach dem anderen auftauchten.

Es wurde immer dunkler und irgendwann schien die glimmende Zigarette wie ein einzelner Stern auf der Erde zu sein- ein kleines Licht der Hoffnung und der Wärme.

Gerade als man in der Ferne endlich das Brummen des Busses, der stetig näher kam, hören konnte, nährte sich ein weiteres Geräusch aus einer anderen Richtung der Bushaltestelle.

Als er es hören konnte, drehte er sich um, mit zusammengekniffenen Augen angestrengt in die Dunkelheit starrend und abermals an der Zigarette ziehend.

Als ein Schemen erkennbar wurde, dessen Umrisse mit jedem Schritt, den er auf die Station zu ging, klarer wurden, begann er zu schmunzeln, stieß ein letztes Mal Rauch aus, warf die Zigarette auf den Boden, um sie dort auszutreten, und wandte sich lächelnd vollends der Person zu, die durch die hohen Gräser auf ihn zu kam.

Als der Bus um die Ecke bog, umarmten sie sich und stiegen dann zusammen ein.

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