Mein Name ist Tobias Roth, Michaeli-Gymnasium Abiturjahrgang 2005, und mittlerweile bin ich Autor, Übersetzer und Herausgeber von Büchern. Ich arbeite also an verschiedenen Baustellen im großen Kosmos des Büchermachens.
Wie sind Sie zu Ihrem Beruf gekommen? Hat Sie vielleicht die Schule dazu inspiriert?
Ich wollte definitiv schon Schriftsteller werden, als ich hier noch auf der Schule war, das kam so mit fünfzehn, sechzehn. Die ersten Berührungen mit Literatur waren eine normale Mischung aus schulischem und Elternhaus-Input. Aber ich glaube, ich hab es im Deutschunterricht relativ früh übertrieben (lacht).
Nach dem Abitur habe ich in Freiburg Germanistik studiert -denn wenn du möglichst viel lesen und schreiben willst, dann ist die Literaturwissenschaft der Ort in der Gesellschaft, an dem das toleriert wird. Dort habe ich meinen Bachelor gemacht und bin dann nach Berlin. Schon in Freiburg habe ich angefangen, mich umzuschauen nach Poetry Slams und Literatur-Zeitschriften. Und dann – bei einer Band würde man sagen „aus der Garage heraus“: Man fängt klein an mit Literaturzeitschriften. Irgendwann lernt man andere Autoren und Verleger kennen und macht – wenn die Inhalte passen und man sich gut versteht – gemeinsam Bücher. So nimmt das seinen Lauf. Ich hab‘ relativ lange studiert, kann auch jedem nur empfehlen, so lange wie möglich zu studieren (lacht). Und ich war im Endeffekt fast so lange an der Universität, wie ich in der Schule war, mit Unterbrechungen durch Praktika. Anfang 2017 habe ich in Berlin meinen Doktor gemacht. Aus dem Windschatten der akademischen Arbeit hat sich diese Mischung ergeben: aus selber schreiben, übersetzen aus dem Italienischen, Französischen, Lateinischen und Englischen, dem Ausgraben alter deutschsprachiger Sachen. Das sind Texte, die eben kein Mensch mehr kennt, die aber wichtige, zeitgenössische Inhalte formulieren und nur vom Gang der Geschichte vergessen worden sind. Solche Sachen wiederzuentdecken, sie aufzubereiten und -wie es so schön heißt – sie „anschlussfähig“ zu machen an heutige Lesegewohnheiten, das ist die Idee dahinter.
Haben Sie im MGM Französisch und die anderen Sprachen gelernt?
Genau, ich hatte in der Schule Englisch, Französisch, Latein – bis auf Italienisch habe ich alle meine Fremdsprachen schon dort gelernt. Das, was man als Sechst- und Siebtklässler lernt, bleibt erstaunlich gut kleben! An der Universität verändert sich der Blick auf die Texte aber total. Zum Beispiel übersetzt man ein lateinisches Gedicht, von dem es in der Schule hieß, es geht um Vögel, aber dann ist klar, dass es eigentlich um Geschlechtsteile geht – also die Perspektive verändert sich, aber die Basis wird in der Schule gelegt. Gibt es noch Latein am MGM? Bis auf ein zwei Jahre, war es in der Schule nicht mein liebstes Fach … Aber Latein ist das beste Beispiel dafür, dass man erst zeitverzögert merkt, wofür das Fach überhaupt gut ist und warum man das jetzt eigentlich lernen soll.
Welchen Einfluss hatte das MGM auf ihren späteren Werdegang?
Das MGM hat sicherlich meiner Begeisterung für das Musische einen Ort gegeben. Das war eher die Musik und die Theater-Ecke, damals nicht so sehr die Literatur. Ich war ewig im Chor und in der Percussion. Die Percussion war das mit Abstand Schönste hier an der Schule. Das habe ich auch später noch weitergemacht. Allerdings geht es mit meinem Nachwuchs und mit einer Mietwohnung nicht gut zusammen … das war hier in der Schule das Tolle, weil man draufhauen konnte, wie man wollte!
Wie war das mit dem Deutschunterricht?
Ich habe schon einige bestimmte Vorannahmen und Epochen kennengelernt, zum Beispiel die Weimarer Klassik. Das war in einem ganz unbefangenen Sinne – und dann hört man an der Uni ganz andere Sachen darüber. Also ich denke, das ist in allen Fächern der Haupteinfluss der Schule, dass es einem die Augen öffnet, was es überhaupt gibt. Auch wenn ich es nie gepackt habe, die Photosynthese nachzurechnen, so weiß ich doch, dass es sie gibt und wie sie grob funktioniert. Und das ist ja genau der Nutzen von Fächern, die man nicht mag – dass man sich halt mit Sachen beschäftigt, mit denen man sich von alleine nicht beschäftigen würde.
Die Hauptsache an der Schulzeit sind für mich aber die prägenden Erlebnisse und die Freundschaften, die hier entstehen. Literarische „Erweckungserlebnisse“ gab es an der Schule keine … Ich habe halt angefangen zu schreiben, während ich noch Schüler war. Die Texte habe ich seit zwanzig Jahren nicht mehr gelesen, ist vermutlich unlesbar (lacht). Ein Artefakt aus der alten Schülerzeitung „Schrottpresse“ habe ich aber noch.
Woher denken Sie als erstes, wenn sie ans MGM denken?
(Überlegt) Also, da ist die Antwort auf jeden Fall nochmal: Percussion, unter der Leitung vom Herr Lücking. Das war so ein Ort, wo sich die Altersgruppen vermischt haben und eine neue Gruppe entstanden ist, die nur auf Neigung und gemeinsamer Begeisterung beruht. Das ist auch eine soziale Energie und Kraft, die Herr Lücking unglaublich zur Blüte gebracht hat. Ansonsten ist das MGM für mich so ein Familiending. Denn meine Mama war hier auch schon, im ersten Abi-Jahrgang. Und dann hatte ich teilweise die gleichen Lehrer wie sie. Das war total cool, denn so wurde bei der Elternsprechstunde nie über mich geredet, sondern nur über die guten alten Zeiten …
Was ist Ihre beste und Ihre schlimmste Erinnerung ans MGM?
Das Beste war – neben den musischen Sachen – sich in der Pause zum Rauchen rausschleichen; das, was man mit seinen Freunden erlebt hat – weil man ja doch den Großteil seines Lebens hier verbringt. Und das war eigentlich immer schön: so ein paar Komplizen zu haben; da ist man dann auch aufgehoben, egal was die anderen über einen sagen.
Das Schlimmste war wahrscheinlich das frühe Aufstehen, um dann gelangweilt irgendwo rumzusitzen. Man braucht ja kein Hehl draus zu machen, dass jeder Neigungen hat – so findet man eben das eine einfach und das andere schwierig, das eine aufregend und das nächste langweilig. Aber eigentlich war es eine schöne Kindheit, muss man sagen. O.k., das Gebäude ist exzeptionell hässlich – da muss ich auch immer dran denken, wenn ich MGM höre, da sehe ich halt diesen grauen Kasten vor mir. Aber der Pausenhof ist sehr viel schöner geworden und der Neubau, das sieht richtig modern aus.
Haben Sie noch Kontakt zu ehemaligen Mitschüler*innen oder Lehrer*innen?
Kontakt zu ehemaligen Lehrern habe ich nicht, aber Freunde habe ich noch aus dieser Zeit. Ich war erst vor kurzem auf einer Gartenpartie in Ramersdorf, wo plötzlich aus verschiedenen Jahrgängen zehn Freunde wieder zusammenstanden. Das hat auch mit dem Ort zu tun – ein paar Leute sind aus München weggezogen, einige sind nun wieder zurückgekommen. Auf einem offiziellen Klassentreffen war ich aber noch nicht. Das ist mir noch nicht lange genug her – das wäre nach 30 Jahren interessanter (lacht).
Gibt es den von Ihnen gegründeten Verlag „Das Kulturelle Gedächtnis“ noch?
Ja, ja, der existiert noch! Er ist auch noch gar nicht so alt. Unser erstes Programm ist 2017 herausgekommen. Es läuft eigentlich besser, als wir erwartet haben. Die Befürchtung war – „So altes Zeug, wen interessiert das denn? Wie kann man ein Buch verkaufen, das nicht von einem Fußballer oder VIP ist?“ Wir setzen eher auf „abgedrehte“ und entlegene Inhalte, legen dabei großen Wert auf die Gestaltung und Schönheit der Bücher. Dann wird auch klar, warum wir keine E-Books anbieten – weil das Ding, das Buch an sich einfach so hübsch ist, dass man es gerne im Regal haben möchte. Wir haben schon zum zweiten Mal den deutschen Verlagspreis bekommen, das ist eine große Erleichterung, weil es da gute Preisgelder gibt.
Bei einer GmbH kommen Probleme und Situationen auf einen zu, die man am Anfang überhaupt nicht bedacht hat, aber das ist ja das Witzige. Dadurch, dass wir keinen Gewinn abschöpfen und uns keine Honorare zahlen, sind wir außerdem immun gegen viele (Geld-)Probleme. Wir haben auch so gut wie keine Kosten für Büromiete und keine Angestellten. Der große Bonus ist, dass die Gesellschafter viel verschiedene Erfahrung im Verlags-Business haben – einer kann super rechnen, der andere kennt die Presseleute, der dritte kann gut moderieren und ich übersetze die Sachen. Und wir haben ein gutes Netzwerk. Über die Bücher, die zurück ins Internet finden, haben wir viele freiwillige Helfer, die unser Projekt eine gute Idee finden und zum Beispiel ohne Honorar Korrektur lesen.
Man kann mit Teilhabe und freier, anarchischer Zusammenarbeit doch viel bewegen – auch wenn der Krawattenträger sagt: „Das geht überhaupt nicht, ihr habt ja gar keinen Businessplan.“…. Wir wissen dagegen bis heute nicht, ob wir schon mal Gewinn gemacht haben (lacht). Das kann aber auch nur so frei sein, weil wir woanders unser Geld verdienen, also unser Grundeinkommen anders beziehen. Darum haben wir alle zwei Jobs, denn extrem reich ist keiner von uns. Nach dem Abi ist man wahrscheinlich noch relativ unvorbereitet für sowas, vielleicht sollte man doch erst studieren und Erfahrungen sammeln. Aber wenn du merkst: das was ich machen will, finde ich jetzt nirgends oder es gibt keine Stellenausschreibung, die das trifft – dann mach’s einfach selber! Dafür sind wir ja „Erste Welt“, wir sitzen alle so im Speck, wir können schon was riskieren. Damit habe ich bis jetzt nur gute Erfahrungen gemacht.
Welchen Tipp würden Sie uns, den Schüler*innen des MGM, für ihr späteres Leben geben?
Wichtig ist, dass man ehrlich mit sich ist, was man später mal machen möchte. Wenn man sagt, man hatte jetzt an Latein und Mathe nie Spaß und möchte eigentlich etwas mit seinen Händen machen, dann kann man auch ein Handwerk erlernen, obwohl man Abitur hat. Und wenn man etwas Bestimmtes studieren will, dann soll man das auf alle Fälle machen. Wenn man sich zu etwas drängen lässt, worauf man keine Lust hat, dann geht das wahnsinnig schnell auf die Nerven. Es zehrt an der Kraft, weil deine Neigung immer woanders hingeht als deine Pflicht. Wenn man beides verbinden kann – Neigung und Pflicht – ist es perfekt. Mein Rat – nicht zu „effizient“ und nicht zu „rentabel“ sein. Wenn man studiert, dann ernsthaft und so lang wie möglich zu studieren, oder wenn man eine Lehre macht, auf die Walz zu gehen und sich so lange wie möglich in der Welt umzuschauen. Der Witz liegt ja in möglichst vielen verschiedenen Erfahrungen.
Da sitzen wir, die jüngeren Generationen, wahrscheinlich im gleichen Boot: Wenn man sich ansieht, wie die ganze grüne Thematik läuft, dann müssen wir uns darauf vorbereiten, dass wir unsere Gesellschaft auf ein immaterielles Wachstum, also auf ein mentales Wachstum umstellen. Dass wir uns mit Kenntnissen und Erlebnissen sättigen und nicht mit so viel Konsum, mit so viel Zeug, mit Produkten, die immer mehr werden und dann weggeworfen werden. Davon müssen wir wegkommen. Je früher man sich darauf einstellt, umso leichter wird es später. Politisch für die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens kämpfen, das wäre auch ein Tipp von mir fürs Leben – das wäre eine wichtige Sache, für jeden Einzelnen und für die Gesellschaft.
Das Interview führte Caterina, Q12.